Ich habe Glück - wir sind nur eine ganz kleine Gruppe - sechs Personen. Die Stadtführerin wirkt nett und zugewandten - doch ach, der gute persönliche Eindruck wird leider nicht durch die Qualität ihrer Ausführungen bestätigt. Obwohl engagiert, gelingt es ihr nicht Zusammenhänge deutlich zu machen oder Aspekte vertiefend darzustellen. Auf dem Stadtplan werden z. B. die Viertel Paulsstadt, Feldstadt, Schelfstadt und Altstadt benannt - doch wie es zu dieser Gliederung kam, wird auch nicht ansatzweise deutlich. Außerdem fehlen mir Ausführungen zur Bewerbung Schwerins um die Anerkennung als Welterbestätte.
Nun, sei's drum - Schwerin gefällt mir so gut, dass ich mir die Stadt in weiteren Spaziergängen und begleitender Internetrecherche selbst erschließe.
Hier ein Einblick in Zusammenhänge, die zumindest mir wichtig sind:
Schwerin wurde 1160 von Heinrich dem Löwen gegründet. Er schlug den damals herrschenden Obotritenfürst Niklot, dessen Familienbande jedoch in der späteren Herzogsfamilie fortlebten.
1270 - 1416 wurde der gotische Dom, einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt, erbaut,
Blick zum Dom - vom Altstätter Markt - mit Gebäuden des Historismus |
Auch in den Seitenstraßen der Altstadt finden sich überwiegend Bauten des 19. Jahrhunderts |
Viele Jahrhunderte - bis 1705 - bestand Schwerin nur in der heutigen Altstadt. Nach 1705 wurde auf Geheiß des Herzogs die Schelfstadt (als Neustadt) ausgebaut. Sie stellt heute im Grunde den ältesten Teil der Stadt dar, da die Gebäude der Altstadt weitgehend durch Brände vernichtet wurden und diese im 19. Jahrhundert im historistischen Stil wiederaufgebaut - und um Regierungsgebäude erweitert wurde. Der Name "Schelf-" kommt wahrscheinlich aus dem Niederdeutschen für "Schilf" und steht für den sumpfigen Boden, auf dem dieser Stadtteil erbaut wurde. Um 1700 lebten etwa 500 Menschen in diesem Stadtteil.
Die ältesten Gebäude Schwerin finden sich in der Schelfstadt |
Am Wochenende gibt es Führungen durch die Schelfstadt. Das könnte sich lohnen! Ich wandere nur für mich durch diesen Bereich und bewundere alte Straßenzüge, die Figur der Trauernden an der Schelfkirche und das Schleswig - Holstein - Haus (zur Zeit finden dort z. B. die Literaturtage statt).
An der Schelfkirche zieht diese ausdrucksstarke moderne Figur meinen Blick in den Bann |
Auf der anderen Seite des Pfaffenteiches - eine Straße der Schelfstadt |
Wie bereits in meinem gestrigen Beitrag erwähnt, ist Schwerin heute eine Stadt des Historismus. "Historismus" ist dabei der Überbegriff für alle Architekturstile, die Stile der Vergangenheit nachahmen - was typisch für das gesamte 19. Jahrhundert bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts ist, also z. B. Neoklassizismus, Neogotik, Neoromanik .... . Warum baute man in dieser Zeit so? In Kurzfassung: Das aufstrebende Bürgertum orientierte sich an den Mustern der Vergangenheit und wollte durch einen prunkvolle Stil seinen Status demonstrieren. Früher als leere Dekoration verschrien, werden Bauten dieser Epoche in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckt und gewürdigt. Auch mich persönlich spricht die Harmonie dieser Gebäude an, nur mit dem Neobarock tue ich mich schwer.
Bei den offiziellen Führungen werden Paulsstadt und Feldstadt vernachlässigt. Das ist schade, denn hier gibt es - für Freunde der Stadtentwickluing - auch viel zu entdecken.
Die Paulsstadt hat ihren Namen nach dem Großherzog, der 1837 die Residenz von Ludwigslust nach Schwerin zurückverlegte. Von einer Schweriner Bürgerin bekomme ich den Tipp mir die Rudolf - Breitscheid - Straße, den Jungfernstieg und den Demmler Platz anzusehen. Diesen Tipp gebe ich hiermit weiter! Am Demmlerplatz findet sich das Justizgebäude von 1916, nach 1945 war es Sitz des sowjetischen Geheimdienstes und ab 1954 Sitz der Stasi. Ab etwa dem Jahr 2000 wurden Paulsstadt und Feldstadt mit Hilfe des Programms der Städtebauförderung gründlich saniert.
Die Feldstadt wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgebaut - bis dahin war sie ein dörflicher Bereich (daher also der Name).
Noch ein paar Zahlen:
1840 hatte Schwerin 17000 Einwohner - 1900 waren es 38000 Einwohner - 1948 88000 Einwohner - 1960 waren es 92000.
In den nächsten Jahrzehnten steigt die Zahl bis auf 130000 Einwohner. Es werden zur DDR Zeit Plattensiedelungen erbaut (Großer Dreesch, Neu Zippendorf, Mueßer Holz.) Heute werden diese Plattenbauten z. T. wieder zurückgebaut. Die Einwohnerzahl beträgt wiederum 92000.
Die Größe der kleinsten Hauptstadt eines Bundeslandes hat viele Aspekte - der Zeitungsartikel zeigt, was zur Zeit diskutiert wird |
Natürlich gibt es noch jede Menge anderer interessanter Fakten - aber vielleicht macht das ja schon jemandem Lust, einmal hierher zu kommen. Ich freue mich jetzt erstmal auf einen netten Abend in einem guten Fischrestaurant in der Altstadt! Morgen will ich ins Schweriner Schloss.
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